von Einer die auszog die Welt zu erkunden Teil 2

Sonntag, 8. März 2015

Auf ein Neues (Frühlingsfest Teil 1)




Hallo ihr Lieben,

da bin ich auch schon wieder mit dem zweiten Teil meiner Ferienreise. Diesmal in Begleitung von Muddi. Sie hat die lange und beschwerliche Reise auf sich genommen um sicher zu gehen, dass es mir auch wirklich gut geht (Skype, E-Mails und Anrufe scheinen nicht auszureichen ;)). 

Wie ihr wisst sind Weihnachten und Silvester nicht so große Angelegenheiten hier in China. Aber das soll nicht heißen dass es hier gar keine Feiertage gibt, denn auch Chinesen lieben das mit der Familie zusammen zusitzen, zuquatschen und sich zu Tode essen. Dafür gibt es dann auch die geeigneten Festlichkeiten: das Frühlingsfest 春节 (chunjie) oder auch das chinesische Neujahrsfest. Dieses richtet sich nach dem Mondkalender (der „alte“ Kalender der Chinesen) und wird dementsprechend jedes Jahr an einem anderen Tag gefeiert, allerdings immer irgendwann zwischen Ende Januar und Anfang März. Da die Chinesen sonst nicht allzu viel zu feiern haben, werden die Feiertage auch gleich mal auf zwei Wochen ausgebreitet (die meisten Chinesen haben trotzdem nur eine Woche frei). Ganz frech habe ich uns dann also mal bei Jojo, einer chinesischen Freundin und ihrer Familie eingeladen. Die wohnen in der Nähe von Beijing, in Jixian 蓟县 um genauer zu sein, das ist ein „Stadtteil“ der Riesenmetropole Tianjin 天津, welches „nur“ 14Mio. Einwohner hat. Deswegen haben wir uns dann auch dazu entschieden in einem Dorf das Frühlingfest zu feiern, denn schließlich ist Jixian mit seinen 800.000 Einwohnern definitiv in die Kategorie „Dorf“ einzuordnen (was man zu tatsächlichen Dörfern, dann sagt weiß ich nicht so ganz, wahrscheinlich so etwas wie „nicht existent“). Jixian ist auch eigentlich keine Stadt sondern eher ein Landkreis, aber eine Stadt mit weniger als einer Millionen Einwohnern scheint einen eigenen Namen nicht verdient zu haben. Jedenfalls wurden wir von Jojo und ihrer Familie ganz herzlich aufgenommen und haben die vier Tage die wir dort verbracht haben sehr genossen. 

Zuallererst jedoch mussten wir erst einmal dorthin gelangen und da zur Zeit des Frühlingfestes der halbe Staat auf den Beinen ist, denn zu dieser Zeit fahren alle nach Hause, war die Zugticketsuche schon erheblich erschwert. Deswegen mussten wir schweren Herzens (naja, Muddis Herz war eher erfreut) Tickets für den zwar etwas teureren, aber dafür schnellsten Zug in China kaufen. Der sogenannte Gaotie 高铁 legt die Strecke nach Beijing, welche etwas mehr als 1000km lang ist, in vier Stunden zurück, fährt zwischen den Haltestellen meistens 300km/h und kostet umgerechnet keine 70€ pro Person. Als wir dann also diese sehr lange und unangenehme Reise hinter uns gebracht hatten und dann auch noch den wahrscheinlich letzten Bus des Tages nach Jixian erwischten, wurden wir ganz herzlich von Jojo und ihren Eltern empfangen. Die wohnen in einer wirklich schönen Wohnung, die erstaunlicherweise auch gar nicht so klein war wie man es vielleicht erwartet hätte und (was mich besonders gefreut hat) beheizt. Denn glücklicherweise befinden wir uns hier im Norden von China und da gibt es wieder Heizungen. Ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal in einem beheizten Raum gewesen bin, umso mehr habe ich mich natürlich gefreut, dass man endlich mal wieder seine zehn Jacken ausziehen kann wenn man einen Raum betritt. Jojos Mutti hat dann auch erst einmal eine kleine Teezeremonie für uns verantstaltet (später haben wir herausgefunden, dass der Tee in dieser Familie immer mit einer kleinen Zeremonie zubereitet wird).
Da war Muddi natürlich auch gleich ganz begeistert von. Dazu gab es natürlich auch eine kurze Einführung in die verschiedenen Teesorten Chinas. Besonders interessant dabei war, dass es einen speziellen Tee aus Yunnan (einer Provinz im Süden) gibt, der nennt sich Pu’er 普洱 und dieser soll sehr wertvoll sein, so wertvoll das er oftmals als Mitgift bei Hochzeiten verwendet wird, denn er ist teilweise wertvoller als Gold. Ich könnte mich hier noch eine ganze Weile länger über Chinas Tee auslassen, aber ich will euch nicht allzu sehr langweilen. Im Norden des Landes ist es Tradition am Abend vor dem neuen Jahr Jiaozi 饺子(Maultaschen) selber zu machen. Und natürlich haben wir das dann auch gemacht. Hierbei war es schön zu sehen, dass Jojos Papa auch immer mit in der Küche geholfen hat, das scheint wohl in nicht allzu vielen Familien so zu sein. Wie bei allen Dingen die man in China macht, hat auch das Jiaozi selber machen bzw. essen eine Bedeutung. Die Jiaozi haben fast die gleiche Aussprache wie die nächstkleinere Geldeinheit nach dem Yuan (also etwas so wie Cent).
Wenn man nun also Jiaozi isst, dann bedeutet das dass man im nächsten Jahr viel Geld haben wird. Doch wir wären ja nicht in China, wenn es nicht noch viele andere sehr leckere Speisen gäbe, so hatten wir noch die traditionellen Würste (die schon seit Dezember an den Fenstern hingen), ein wenig Gemüse und auch besonders: der Fisch. Auch hier gibt es einen Grund warum er gerade zum Frühlingfest gern gegessen wird. Denn die Aussprache von Fisch yu ist die Selbe wie von yu, was so viel wie „fröhlich“, „gut gelaunt“ bedeutet. Normalerweise wird von dem Fisch dann auch der Kopf gegessen, diese Ehre wird einem besonderen Gast vorbehalten. Muddi und ich waren beide froh, dass wir anscheinend doch nicht so besonders waren, denn das wäre doch ein wenig zu viel des Guten gewesen. 

Später am Abend sind wir dann alle zusammen mit noch einigen anderen Freunden von Jojos Eltern auf einen nahe gelegenen Hügel geklettert und haben von dort das Feuerwerk betrachten können. Wie ihr wisst sieht man zu Silvester ab ungefähr ein Uhr Nachts nichts mehr, weil alle wie verrückt Raketen und Knaller abgefeuert haben, viel anders ist es hier in China auch nicht, allerdings sind die Städte größer und somit die Luftverschmutzung auch. Feuerwerke haben hier allerdings eine Trendwende erlebt, denn in vielen Großstädten (z.B. Nanjing) ist es verboten Raketen und Knaller zu zünden, um genau diesem Problem entgegen zu wirken. In Jixian ist es immer noch erlaubt, aber viele Leute entschließen sich aus freien Stücken darauf zu verzichten, um die Luft sauber zu halten. Ob das wirklich einen Unterschied macht bliebt zwar fragwürdig, denn wahrscheinlich wäre es besser nicht mehr mit dem Auto jede kleine Strecke zu fahren und dafür einmal im Jahr ein wenig zu Knallern, aber mit westlicher Logik kann man den Chinesen ja eh nicht kommen. Es gab aber immer noch genügend Leute die es sich nicht haben nehmen lassen die eine oder andere Rakete in die Luft zu schießen und somit war es trotzdem ein wunderschönes Spektakel (wenn auch irgendwie nicht so groß wie ich es von Dresden kenne). 

Hier jetzt noch eine kleine Geschichte warum man in China Raketen abfeuert: Vor langer Zeit gab es ein Monster, damals hieß Monster nian (heute wird dieses Schriftzeichen für „Jahr“ benutzt), dieses Monster frass bevorzugt Menschen und verbreitete deswegen jede Menge Terror in den Dörfern. Eines Tages aber spielten ein paar kleine Kinder mit Feuerwerkskörpern herum, daraufhin erschreckte sich das Monster so sehr dass es rasch reis aus nahm. Da haben sich die Dorfbewohner natürlich alle riesig gefreut und sich gegenseitig 过年 guonian („das Monster ist gegangen“) zugerufen und somit wurde eine neue monsterfreie Ära begonnen. Das ist der Grund warum man sich auch heute noch am ersten Tag des neuen Mondkalenders „guonian“ zuruft und Feuerwerke veranstaltet. 

Nachdem wir uns dann schon fast die Füße und Hände abgefroren hatten, sind wir mit dem Auto zurück gefahren. Eine Sache die in Deutschland nur unter Gefährdung des eigenen Lebens möglich wäre, hier aber überhaupt kein Problem, denn alle feuern ihre Raketen in Hinterhöfen oder in Parks ab, sodass die Straßen schön frei von knallerwütigen Halbwüchsigen sind oder zumindest wären, wenn nicht alle anderen auch mit dem Auto nach Hause fahren würden.

Nach nur einem ganz klitzekleinen Frühstück (nachdem wir eigentlich schon ganz schön voll waren) ging es dann auch gleich weiter zur Tante zum Mittagessen. Das China ein sehr traditionelles Land ist habt ihr vielleicht schon bemerkt, aber ich glaube während des Frühlingsfestes wird das auf die Spitze getrieben. Denn es ist Tradition dass die jüngere Generation die ältere Generation besucht und ihnen ein frohes, glückliches, gesundes neues Jahr wünscht. Dass man sich da nicht einfach einmal mit der gesamten Familie trifft und das in einem Wisch erledigt, wie das meistens der Fall in Deutschland ist, versteht sich ja von selbst. Warum einfach wenn es auch kompliziert geht? In diesem Fall ist die Ein-Kind-Politik doch zu etwas gut, denn jüngere Geschwister müssen alle ihre älteren Geschwister einzeln besuchen, diese müssen dann für die ganze Familie ein Essen zubereiten, denn die anderen jüngeren Geschwister kommen natürlich auch noch (inklusive Ehepartner und Kindern). Im Falle von Jojos Familie bedeutete das, dass die ältere Schwester und der ältere Bruder der Mutti sowie die zwei älteren Schwestern des Papas abgearbeitet werden mussten. Alles hübsch nacheinander, jeder an einem anderen Tag (sonst wäre man wahrscheinlich wirklich geplatzt). Da wir bei Jojo und ihrer Familie eingeladen waren, wurden wir natürlich auch zu all diesen Verwandschaftsbesuchen mitgeschleppt. Ich glaube diese drei Tage waren die wohl interessantesten Tage die ich hier in China bisher hatte, denn sie haben uns nicht nur einen guten Einblick in das Familienleben gegeben, sondern auch viel gelehrt über die chinesische Kultur und Geschichte.

Am 19.2., dem ersten Tag des neuen Jahres, stand also zuerst die Tante mütterlicherseits auf dem Programm. Sie ist (glaube ich) an die sechzig und wohnt mit ihrem Ehemann in einem kleinen Dorf in der Nähe von Jixian. Als wir in das Dorf hinein fuhren, war mein erster Gedanke: „Nein, wir fahren hier nur durch. Wir können uns hier nicht einfach so zum Mittagessen einladen. Die haben doch gar nichts hier.“. Dieser Gedanke war nicht ganz unberechtigt, denn alle Häuser sahen aus als ob da schon seit vielen Jahren keine Menschenseele mehr darin gewohnt hat, viele hatten Bretter oder einfach nur Decken vor den Fenstern und Türen, überall lagen Reste von Feuerwerkkörpern herum, es streunten Hunde durch die Gegend und alles wirkte irgendwie sehr grau und trist (das könnte allerdings auch am Wetter gelegen haben). Umso geschockter war ich als ich dann tatsächlich Leute in den Türen hab stehen sehen und wir selber vor einem dieser Häuser parkten.
Zwar gab es einen Vordereingang, allerdings wurden wir durch den Hinterhof ins Haus geführt (diesen Weg haben alle gewählt, war also nichts Persönliches). Hätte es sich um eine deutsche Familie gehandelt die dort wohnen würde, dann wäre da vielleicht die Rückseite der Garage, mit dem geputzten Auto, einigen Gartengerätschaften, eine Veranda mit Gartentisch und Liegestühlen und alles mit Blick auf einen hübsch gepflegten Garten mit Blumenbeet. Aber nicht hier! Hier hatte man eine überdachte Ecke mit einem alte Fahrrad (was wahrscheinlich immer noch benutzt wird), einem Haufen Holz und Kohle, jeder Menge Draht und anderem Elektroschrott (der wahrscheinlich auch noch für irgendetwas benutzt wird) und anderem Kleinkram der in einem wilden Durcheinander herumlag, der Garten bestand aus zwei Fläche voll matschiger Erde, einem alten Baum in der Mitte von Erde und Betonweg, welcher Tor, Haus und Werkstatt/Vorratslager verbindet, umringt. Überall an den Wänden waren offene Leitungen für Licht oder was auch immer zu sehen und anderes Gerümpel, was zwar alles alt und kaputt aussah, ich aber das Gefühl hatte alles noch einen Nutzten hatte.
Am Besten allerdings fand ich, dass in der Mitte des Hofes (der übrigens ca. 50-70m² groß war) ein merkwürdiges Konstrukt stand. Es sah ein wenig aus wie ein riesiger Suppentopf (hatte bestimmt fast einen Durchmesser von einem Meter) aber eher so rund war wie ein Ball, dieser stand auf drei kleinen Beinen, an der Vorderfront hatte es eine Öffnung in der ein kleines Feuerchen vor sich hin flackerte und an der Rückseite ein Ofenrohr, welches auch noch einmal nur einen Meter lang war. Uns wurde dann erklärt, dass dies tatsächlich zur Zubereitung von Essen fungiert. Oben nimmt man einfach den Deckel ab, darunter ist dann wie eine Art Sieb durch welches die Wärme vom Feuer aufsteigen kann. Auf dieses Sieb stellt man dann den Behälter in dem man sein Essen zubereiten möchte und wartet einfach bis das Ganze zu kochen oder zu braten anfängt. Bis vor kurzem hat die Familie dieses wunderbare Gerät im Haus aufbewahrt. Jedoch wurde dieses erst renoviert und die Wände sind alle schön weiß gestrichen. Früher wohnten hier noch die zwei Kinder, jetzt sind es allerdings nur noch Tante und Onkel, deswegen wirkt das Haus ein wenig leer, denn es gibt zwei große Räume in denen jeweils nur ein Bett und ein kleiner Nachttisch stehen.
Ultramoderner Wasserkocher
Des Weiteren eine Küche in der die Speisen allerdings nur vorbereitet werden (gekocht wird wie gesagt im Supersuppentopf) und der Hauptteil des Hauses sind zwei Räume in denen sich jeweils ein chinesiches Bett befindet. Der Begriff dafür ist kang
und ist im Prinzip ein Bett welches aus Ziegeln gebaut ist, darunter befindet sich ein Hohlraum, der mit einem Rohr mit dem Nachbarraum verbunden ist. Am andere Ende des Rohrs befindet sich ein kleiner Ofen, auf dem normalerweise Wasser für Tee etc. gekocht wird, dessen Wärme aber mit dem Rohr unter das Kang geleitet wird und dieses somit angenehm wärmt. Dieses Bett nimmt meistens die Hälfte des Raumes ein und Jojo hat mir erzählt, dass früher die ganze Familie darauf gegessen hat, einfach weil es schön warm ist, denn hier auf dem Dorf gibt es meistens nur sehr kleine Heizungen. Außer einem Kleiderschrank, einem Schreibtisch und einem Fernseher (eine chinesische Familie ist nicht vollständig ohne Fernseher) gibt es auch kein Mobiliar (höchstens noch ein oder zwei runde Tische inklusive Hocker für Familienbesuche, die man irgendwo einfach verstauen kann). All die Möbel sehen auch aus als ob sie schon seit mindestens fünfzig Jahren dort stehen würden. Es ist also ein bisschen wie ein Sprung zurück in der Zeit. 
Ein Trockenmehlmahlstein, hat ein wenig gedauert bis er in Schwung gebracht wurde
Man kann sich einer gewissen Ironie nicht entziehen, die alte Polizeistation nun ein Schafstall

Um den Älteren ihre Glückwünsche auszusprechen werden hier meistens riesige Kisten voll mit Obst oder auch Alkohol verschenkt. Für die Last-Minute-Besuche stehen dann am Straßenrand überall Türme und Wände voll mit diesen Kisten, was schon ein wenig lustig aussieht. Im Gegenzug gibt es für die Kinder und die Jugend die legendären roten Umschläge 红包 (hongbao), in denen befindet sich für gewöhnlich Geld, welches gespart oder für das Studium ausgegeben werden soll. Die Übergabe der „Geschenke“ findet hier nicht so spektakulär statt wie in Deutschland, wo wir Gedichte aufsagen müssen, sondern irgendwann während des Mittagessens. Womit wir beim Thema wären: das Mittagessen. Eigentlich ohne Worte, aber da euch das recht wenig sagen wird, hier doch wenigstens ein paar. Natürlich sitzt die gesamte Familie an ein oder zwei runden Tischen und in der Mitte wird aufgetischt, sodass sich jeder von allem bedienen kann. Jojos Tante hat für dieses wirklich wunderbare Mahl schon Tage vorher mit den Vorbereitungen angefangen und ist an diesem Tag schon um fünf am Morgen aufgestanden und hat mit dem Kochen begonnen. Ich würde glatt behaupten, dass in Deutschland keiner soviel Zeit in die Vorbereitungen des Weihnachtsessens steckt. Da diese Familie auch nicht besonders wohlhabend ist und teilweise von den anderen Geschwistern unterstützt wird, revanchieren sie sich indem sie ein besonders gutes Essen kochen.
Deswegen gab es relativ viele Gerichte in denen Fleisch enthalten war (zum Glück waren keine Vegetarier dabei, für die wäre es die Hölle gewesen). Ansonsten noch einige Gemüsegerichte, die meistens in Kombination mit ein wenig Fleisch waren und eine Suppe. Jedes Gericht war auf eine andere Art und Weise zubereitet und oder hatte verschiedene Gewürze, sodass nicht gleich geschmeckt hat und man schon nach der ersten Runde des Probierens ein kleines Sättigungsgefühl hatte. Da es aber wirklich lecker war (ich finde sogar eines der besten Essen die ich in China bisher hatte), hat man sich halt noch mehrere Male durchgefuttert und ist am Ende fast geplatzt. Wobei Ende nicht bedeutet, dass das Essen alle war. Keinesfalls! Als alle bis zum Platzen voll waren, war immer noch fast ein Drittel übrig. Viel zu viel zu kochen gehört in China zum guten Ton. Aber wenigstens werden die Reste nicht einfach weggeschmissen, sondern die nächsten Tage weiterverwertet.
Nach dem Essen haben sich einige von uns auf einen kleinen Spaziergang durch das Dorf gemacht und haben dabei vom Onkel nicht nur den Unterschied zwischen einem Nass- und einem Trockenmehlmahlstein erklärt bekommen, sondern auch noch so einiges andere was das Dorfleben in China betrifft. Im Gegenzug konnten wir dann auch ein wenig zu deutschen Dörfern erzählen und beide Seiten waren halbwegs erstaunt über die neuen Informationen. Was mich am Meisten erstaunte, war eigentlich wie viele Leute eigentlich immer noch in dem Dorf wohnen. Wir haben sogar einige Jugendliche gesehen die Basketball gespielt haben. Ein Phänomen welches ich in Deutschland noch nicht gesehen habe.

Um nach dem ganzen Dorfgeschehen wieder ein wenig Stadtgefühl zu bekommen, sind wir am Nachmittag noch in die Altstadt von Jixian gegangen um uns (wer hätte es gedacht) einen Tempel anzuschauen. Genauer gesagt ging es zum „Tempel der einsamen Freude“ 独乐寺 (dulesi). Dies ist ein buddhistischer Tempel, welcher (darüber streiten sich die Geister) irgendwann zwischen 700 und 1000u.Z. gebaut wurde, allerdings ist man sich darüber einige, dass es eines der ältesten Bauwerke Chinas ist und alt ist es wirklich. Man hat an den 23m hohen Haupthallen, sowie an der 16m hohen Lehmstatue der Gottheit Guanyin fast keine Reperaturmassnahmen vorgenommen, sodass dieser Tempel, im Gegensatz zu allen anderen die ich schon gesehen habe, etwas heruntergekommen und verwahrlost aussieht. Mit anderen Worten könnte man aber auch sagen: authentisch. Sehr viel mehr kann ich zu diesem Tempel auch gar nicht weiter sagen, denn wir haben uns dort nicht sehr lang aufgehalten, denn es war verdammt kalt.

Am Abend hatten wir dann auch gar keine Lust noch irgendetwas zu essen oder zu tun, aber wir mussten noch Geschenke beim großen Bruder abliefern. Also blieb uns nichts anderes übrig als noch einmal fix loszuziehen. Dafür durften wir danach, aber ganz gemütlich bei Tee und Sonnenblumenkernen den Abend auf einem warmen Sofa und netten Gesprächen verbringen. 

Was mich zum Thema der Verständigung bringt, denn günstigerweise kann Muddi ja kein Chinesisch und Jojos Eltern und der Großteil der Familie kann kein Englisch. Deswegen haben Jojo und ich dann immer übersetzten müssen, was teilweise schon eine recht lustige Angelegenheit war. Jojos Mama hat mich teilweise nicht verstanden, weil ich natürlich Hochchinesisch gelernt habe und sie aber mit einem netten Dialekt spricht. Teilweise wird es wahrscheinlich aber immer noch daran liegen, dass ich es falsch sage. Zum Glück ist Jojo Chinesischlehrerin und versteht mich ohne Probleme :). Muddi und Jojos Mama haben sich trotz Sprachbarriere prächtig verstanden und es war wirklich ziemlich niedlich wie man sich mit Händen und Füßen versucht hat zu verständigen.

Am nächsten Tag wurden wir zu besagtem Bruder zum Mittagessen eingeladen, allerdings in ein Restaurant. Das Essen dort hat nicht ganz so gut geschmeckt wie am Tag davor, was jetzt nicht heißen soll das es schlecht war, aber selbstgemacht schmeckt doch immer noch am Besten. Auch hier sind wir nicht darum gekommen ständig mit allen anstoßen zu müssen. Das ist in China so Tradition, nur dass man dann halt immer auch noch irgendwelche Glückwünsche ausgesprochen werden. Wir haben bestimmt zehn Mal auf Schönheit und Erfolg angestoßen und gefühlte hundert Mal darauf dass wir von den Chinesen eingeladen wurden (auch wenn wir keine Ahnung hatten wer das war und auch sonst nichts mit ihnen zu tun hatten). Wenigstens musste man nicht jedes Mal sein Glas leeren, denn obwohl die Gläser hier nur etwas mehr als 100ml fassen, wäre man doch recht schnell betrunken. 

Da es über Nacht ganz überraschend geschneit hat, sind wir nach dem Mittagessen los und haben mit Freunden von Jojos Mutti einen Schneespaziergang gemacht. Neben körperlicher Ertüchtigung beim Schneeman- u. Schneefraubauen, Schneeballschlachten schlagen und wandern war unser eigentliches Ziel ein kleines Dorf, welches Mitten in den Hügeln lag und wohl wegen seiner Steinbauten recht bekannt sein soll. Diese haben sich an die Hügel angeschmiegt und dazwischen waren überall ganz kleine, enge Gassen durch die man im Schnee wandeln konnte. In der Mitte des Dorfes, dem Marktplatz, strahlte uns dann auch noch Mao Zedong von einem sehr alten Propagandaplakat entgegen und schon hatte man das Gefühl mal wieder einen Zeitsprung gemacht zu haben. Alles in dem Dorf und überhaupt überall war unter einer Haube frischen Schnees vergraben und somit hatte ich dann auch das Gefühl dass endlich Weihnachten ist. Mit Feuerwerk, Familienbesuchen, viel zu viel zu Essen und dem schönen Schnee wahrscheinlich nicht ganz überraschend.
Herliche Stille ...
... und dann kommen die Beiden daher.
Am Abend hatte Muddi dann die ehrenvolle Aufgabe die Teezeremonie durchführen zu dürfen. Sie hat sich nicht nur gefreut wie ein kleiner Schneekönig, sondern diese Aufgabe auch ganz wunderbar gemeistert (der Tee hat genauso wie bei Jojos Mama geschmeckt). 

Die Küche
Unseren letzten Tag in Jixian haben wir auch wieder mit einer Essenseinladung begonnen. Diesmal: des Vaters älteste Schwester. Sie und ihr Mann (die Kinder sind schon ausgezogen) wohnen auch nicht weit entfernt in einem Dorf, welches Dank Durchgangsstraße nicht ganz so ärmlich aussieht wie das andere Dorf in dem wir Essen waren. An den verramschten Garten mit dem Werkzeug was auch hier überall rum lag, der Wäsche und dem Gemüse hatte man sich schnell gewöhnt. Schwieriger war das mit dem Haus. Sobald man es betrat stand man im Prinzip in der Küche, denn zu beiden Seiten des Eingangs befanden sich riesige Kochtöpfe, die von unten mit Feuer beheizt werden. Die überschüssige Wärme wird wieder in die Nachbarzimmer unter das Kang geleitet. Daneben stand ein riesiger Wasserbehälter, auch gab es einen kleinen Herd für (Tee-)Wasser und einen Schrank für Lebensmittel. Dieser hatte im oberen Teil nur Fliegengitter und dort wurden fertig zubereitet Speisen zwischengelagert. Kalt genug dafür war es jedenfalls und ich glaube sogar fast, dass sie gar keinen Kühlschrank haben, wohl eher einen gut gekühlten Keller. Die Wände und vor allem die Decke der Küche hatten eine starke Schwarzfärbung von dem ganzen Dunst der durch das Kochen entstand und aber nicht abziehen kann.
Der Herd
Das Haus bestand auch nur noch aus zwei weiteren Räumen, die nur durch dicke Stoffvorhänge von der Küche abgetrennt wurden. In beiden befanden sich jeweils ein Kang und ein kleiner Tisch. Im Hauptraum gab es auch noch eine Waschmaschine, eine kleine Kommode mit flackerndem Röhrenfernseher und Schnurrtelefon, sowie einer manuellen Nähmaschine. Gegessen haben wir dann an einem runden Holztisch, wobei man sich auf kleine Plastehocker und das Kang gesetzt hat um zu essen, denn Stühle gab es nicht. Jojo hat mir auch erzählt, dass der Tisch eine Anschaffung der letzten Jahre war, denn vorher hat man auch hier auf dem Kang gegessen, weil viel wärmer. Denn zwar gab es in diesem Raum eine Heizung, doch entweder empfand man es nicht so kalt oder sie gibt einfach nicht mehr Wärme von sich, jedenfalls war es immer noch recht frisch (wenn auch bei weitem nicht so kalt wie draußen). Obwohl die Familie offensichtlich alles andere als wohlhaben ist, hat sie uns doch auch wieder sehr herzlich eingeladen und willkommen geheißen. Chinesische Gastfreundschaft ist schon irgendwie etwas Schönes. Muddi und ich hatten natürlich wie immer unsere Kameras dabei, aber irgendwie fühlt es sich schon sehr komisch an, wenn man damit bewaffnet durch das zu Hause fast fremder Leute hirscht und Fotos schießt wie ein Tourist (im Endeffekt sind wir zwar Touristen, gleichzeitig aber auch Gäste) und deswegen haben uns alle ein ganz kleines bisschen schief angeschaut. Würde ich aber wahrscheinlich auch machen, wenn Chinesen kommen und anfangen Fotos von meiner kleinen Wohnung zu machen.
In freudiger Erwartung auf ein leckeres Mittagessen, mit einem angewärmten Hintern vom Kang

Nach dem Mittagessen, was wieder sehr köstlich war (auch der Esel), haben wir uns dann dick eingepackt nach draußen gewagt. Zuerst ging es an den See. Dieser ist riesengroß (zwei Tage zuvor sind wir bestimmt fast eine halbe Stunde immer am Ufer mit Auto entlang gefahren) und versorgt ganz Tianjin mit Wasser (wie das funktionieren soll weiß ich leider nicht, aber ich glaub unseren Gastgebern einfach mal). Jedenfalls war alles unter einer Schneedecke begraben, der See teilweise zugefroren und mit dem grauen Himmel und den vollen Bäuchen kam ich gleich wieder so richtig in Weihnachtsstimmung. Besonders lustig waren Jojos Eltern und ihre drei Tanten, denn die haben sich durch den Schnee purzeln lassen und für Fotos posiert was das Zeug hält. Wir haben uns dann wirklich gefragt wer denn nun hier erwachsen ist und wer nicht. Am Ende allerdings hatten alle sehr viel Spaß und das ist ja bekanntlicherweise die Hauptsache. 

Unser eigentliches Ziel des Spaziergangs jedoch war ein kleines Dorf, welches während der Qing-Dynastie (1644 – 1911) von den Mongolen gebaut wurde. Hauptsächlich hat man das daran erkannt, dass überall Mongolenflaggen im Wind flatterten (die Gebäude sahen doch irgendwie alle aus wie in anderen Dörfern). Jedenfalls waren hier an vielen Hauswänden Scherenschnitte und Infotafeln aufgehängt und wenn man Chinesisch könnte, dann wäre das sogar super informativ gewesen. So war es halt einfach „nur“ schön. In diesem Dorf sollen wohl auch noch direkte Nachfahren eines Kaisers der Qing-Dynastie leben, allerdings sind sie heute genauso gewöhnliches Fußvolk wie alle anderen. Herkunft ist wohl anscheinend doch nicht alles! Am Rande des Dorfes stand dann noch ein Tempel, welcher sich in die Hügelwand schmiegt.
Hier handelte es sich wieder einmal um einen buddhistischen Tempel, der allerdings wie alle anderen Tempel auch war. Das einzig interessante an ihm und der Gegend ist allerdings, dass es auch hier eine große Invasionswelle der Japaner im zweiten Weltkrieg gab und auch hier (wie in Nanjing) geplündert, getötet und vergewaltigt wurde, nur dass halt davon nicht so viel oder besser gar nicht geredet wird. Es gibt keine Erinnerungsmuseen oder Denkmäler und auch sonst scheinen nicht viele Leute, außer der Lokalbevölkerung, von den Ereignissen in diesem Teil Chinas Kenntnis zu haben. Wir sind dann jedenfalls Unmengen an Stufen nach oben geklettert und konnten dann zusammen mit einem Schneebuddha die schöne Aussicht ins Tal genießen. 

Als uns dann doch zu kalt war, ging es zurück, den Hintern bei Tante und Onkel auf dem Kang und die Hände an einem Glas Tee noch einmal kurz angewärmt. Bei Jojo haben wir dann am Abend wieder interessante Gespräche über China und Deutschland im Vergleich geführt, uns den Bauch mit Tee und Sonnenblumenkernen vollgeschlagen und Jojo und ihrer Mama UNO beigebracht. Und schwupsdiwups waren die vier Tage rum und wir haben bestimmt nicht nur an Kilos sondern auch an Wissen gewonnen.

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